Das Untreue-Experiment
in kritischer Sicht: künstlich,
körperlich, tödlich
VON SUSANNE STAERK
Alles rot. Die Bühnenwände, der Boden, die Saaleingänge,
selbst die Seiten. im Zuschauerraum. Nicht als Rot. Nicht Blutrot.
Auch kein Liebesrot, kein Herzblutrot. Nein greller, schriller.
Ein irres, einhysterisches Rot. Und das Publikum sitzt mitten drin;
mitten in diesem Wahnsinnsrot. So kann keiner am End sagen, er habe
doch bloß zugesehen. Denn Zuschauer sind auch der Prinz und
Hermiane. Ohne Beobachter kein Experiment.
Alles arrangiert. Die isolierte Kindheit der Probanden, die ersten
Rendezvous. Und alles überwacht So will es Pierre Carlet de
Marivaux in seinem Stück "Der Streit" Künstlichkeit,
um die Natur zu erforschen. Die Natur von Mann und Frau - als Mann
und Frau. Genauer: den Ursprung der Untreue. Welches Geschlecht
brachte die Untreue in die Welt? An dieser Frage hat sich ein Streit
zwischen dem Prinzen und Hermiane entzündet. Und er verspricht
ihr nun den Beweis.
Auf Gepäckschiebern werden die Versuchsobjekte von zwei Assistenten
in sterilem Weiß ins grellrote, von Petra Buchholz entworfene,
Kölner Schlosserei-Labor gekarrt. Vier in Folie verpackte Gegenstände.
Leblos, bis vierknallrote wandernde Leucht- elektroden sie synchron
mit Energie aufladen. Roboterhaft setzen sie sich nun in Bewegung.
Mechanisch funktionierende Materie - bis sie in kleinen Bodenspiegeln
ihre Spiegelbilder entdecken. Und sich in sich selbst verlieben.
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.Mit der Vergötterung des Ich fängt hier
das Leben an.
Doch wehe, wenn sie losgelassen. Kaum sind die Triebe und Gefühle
erwacht, beherrschen sie das ganze Wesen. Und rechen ungehemmt hervor.
Physisch, nicht rhetorisch. Der Mensch ist hier zunächst ein
Tier, triebgesteuert. Deshalb hat Regisseur Christian von Treskow
vor allem am Anfang viel Text gestrichen. Das ist in dieser körperlich-künstlichen
Inszenierung keinVerlust. Zumal seine vier jungen Interpreten von
Eglé und Azor, Adine und Mesrin physisch sehr präsent
sind. Nur hätte man sich mitunter eine überraschendere
Körpersprache erhofft; manchmal sind die Gesten der Annäherung
oder Abweisung doch gar zu nahe liegend.
Verlierer des Abends sind die Frauen. Das hat Marivaux schon so
angelegt, doch in Köln wird das recht grell konturiert. Zwar
erweisen sich alle vier, Männer wie Frauen, als untreue Wesen.
Die Frauen aber präsentieren sich zudem als eitles, selbstverliebtes,
hysterisches Geschlecht. Und in Köln fühlt man sich da
zuweilen an das medieninszenierte Gekreisch dreier deutscher Party
Puppen erinnert.
Anders aber als bei Marivaux kommt hier zum Schluss kein drittes,
treues Paar hinzu.
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Hier gibt es keinen letzten Strohhalm, um trotz
allem an Treue zu glauben. Und anders als im Original bleiben die
Ebenen am Ende streng getrennt. Der hier querschnittgelähmte
Prinz mit dicker Brille, den Heinrich Baumgartner als skrupellosen
Wissenschaftler und Zugleich lustvollen Voyeur vorstellt, und die
von ihm umworbene Hermiane, die Angelika Krautzberger in Abendrobe
mit Opernglas als genervte Theaterbesucherin gibt, bleiben für
die Liebesgetriebenen unsichtbar. Das unterstreicht konsequent den
Laborcharakter. Und betont die Fragwürdigkeit - dieses. zynischen
Menschenversuchs.
Im Kölner Labor endet das Experiment tödlich. Als die
Beobachter abgetreten sind, versinken die Liebesversuchsobjekte
in ihren eigenen Spiegelbildern, bis sie darin ertrinken. Sie sehen
sich, moralisch missbraucht und so narzisstisch verblendet, an sich
selbst zu Tode. Mit dieser Untreue gegenüber Marivaux, bei
dem am Ende keiner stirbt, bleibt von Treskow jedoch seinem Ansatz
treu: Dieses Experiment ist - wie es das irre Rot verriet - ein
Wahnsinn.
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